Herzlich Willkommen auf der Trade Show No. 4, A Piece Of Chic

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Seit der Renaissance ist Lyon die Hauptstadt des Seidendrucks. Eine Stadt mit textiler Tradition also. Einer Tradition, der sich A Piece Of Chic verbunden fühlt: Das kleine Unternehmen will mit Seidenschals und Accessoires die goldene Ära der Stadt wieder auferstehen lassen. Gründer Sebastien Chirpaz geht dabei seinen ganz eigenen Weg.

Der Mann ist müde. Sebastien Chirpaz sieht man an, dass er für A Piece Of Chic nahezu permanent unterwegs ist zwischen Modemessen, Vintage-Events und Oldtimertreffen. Ich treffe ihn in Berlin, einer seiner Zwischenstationen auf der jährlichen Grand Tour im Dienste der Sache. Seiner Sache, seinem Thema. Es klingt seltsam, aber bedruckte Seidentücher sind für den Franzosen inzwischen zum Lebensinhalt geworden. Mit A Piece Of Chic tut er etwas, was aus seiner Sicht getan werden musste, das wird schnell klar. Deshalb spricht er auch wenig in Business-Vokabeln, stattdessen benutzt er große Worte, die aus seinem Mund aber nicht aufgesetzt, sondern vollkommen glaubhaft klingen: Leidenschaft, Liebe, Zufriedenheit. Dann verschwindet die Müdigkeit aus dem ernsten Gesicht mit dem kecken Menjou-Bärtchen, in ruhigen, nachdenklichen Sätzen nimmt Sebastien mich mit in seine Gedankenwelt, eine Welt, in der die Kindheitshelden von einst noch immer herumspuken. Die Abenteurer der 20er und 30er Jahre, fesche Flieger, tollkühne Männer am Steuer eines Rennwagens oder todesmutige Motorradfahrer. Aber warum kehrt ein gestandener Mann über 40 zurück zu den mythischen Wurzeln der Geschwindigkeit? Warum lässt er eine gut bezahlte Karriere in der Videospiel-Branche sausen und fängt stattdessen an, gegen die Windmühlen der Moderne zu kämpfen?

„Ich hatte einen interessanten und kreativen Job. Aber irgendwann hatte ich die Nase voll vom täglichen Blödsinn in einer großen Firma und von all den Marketingfloskeln. Ich habe mich immer für die Helden der Geschwindigkeit interessiert, die frühen Flieger, Motorradfahrer oder Automobilisten – sie alle trugen meistens einen Seidenschal, aus praktischen, aber auch aus Stil-Gründen. Der Schal ist mehr als ein Modestatement, er verkörpert für mich eine ganze Lebenseinstellung. Eine lässige, aber elegante Grundhaltung. Als ich nach Lyon kam, entdeckte ich die Tradition des Seidendrucks. Daraus wollte ich etwas machen und ich fing an, meine ersten Schals herzustellen.“

Seine Kunden waren Mods und Scooterboys, eine Szene, die in Lyon sehr stark ist und die ebenso wie die historischen Vorbilder von Sebastien stets Wert auf ein perfektes Äußeres legt. Er vertrieb seine Schals auf Flohmärkten und bei Mod-Events und fand reißenden Absatz. Was als Hobby begann, wurde so innerhalb kurzer Zeit zur Lebensreise auf der Seidenstraße. Im Hause Chirpaz herrscht seitdem Vollbeschäftigung. Das ganze Jahr über ist er jetzt mit Veronique, seiner Schwester im Geiste bei A Piece Of Chic, unterwegs. Aus gutem Grund: „Die Kunden möchten den direkten Kontakt mit uns. Und wir sind selbst unsere besten Verkäufer. Immer, wenn wir den Vertrieb anderen überlassen haben, hat es nicht funktioniert.“ Bei allem Enthusiasmus für die Präsenz vor Ort gibt es von A Piece Of Chic aber auch einen Webshop – schließlich spricht nichts dagegen, die Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts auch für romantische Produkte zu nutzen.

Das verbindende Element zu seinem alten Leben in der Entertainment-Industrie ist für Sebastien die Lust an guten Geschichten. Seine Seidenschals sind für den Franzosen immer Symbole: Sie erzählen von der Vergangenheit, ihren Träumen und jugendlich-überschwänglichen Taten. Und von einem Stilbewusstsein, das in der Mode von heute verloren gegangen ist. „Ich sehe A Piece Of Chic nicht als Teil der Fashion-Szene. Wir sind mehr wie ein Verlag oder eine Plattenfirma, wir erzählen mit unseren Produkten Geschichten.“ Manchmal sind diese Geschichten erfunden, manchmal orientieren sie sich an realen historischen Ereignissen aus Sport, Technik oder Politik. So gibt es Tücher mit Anklängen an große Boxkämpfe, andere feiern drahtige Piloten in Doppeldeckern und wieder andere beziehen ihre Inspiration von Vorkriegs-Motorrädern.

Mit der Zeit erweiterte sich das Spektrum von A Piece Of Chic. Die Schals bilden immer noch den Schwerpunkt, werden inzwischen aber von Krawatten, T-Shirts und Pullovern ergänzt. „Das hat sich so ergeben“, erläutert Sebastien. „Meist hatte es damit zu tun, dass ich Menschen getroffen habe, die mich inspirierten und mir Anregungen gaben.“ Deshalb ist es für ihn auch so wichtig, wie eine Rockband durch ganz Europa zu touren, „im Feld zu sein“, wie Sebastien es beschreibt. Nur so trifft er auf Gleichgesinnte, die die Philosophie hinter A Piece Of Chic verstehen und im Idealfall helfen, sie weiter zu entwickeln.

Die meisten Seidentücher werden mit Hilfe zuverlässiger Partner in Lyon im Digitaldruckverfahren bedruckt. So bleiben die Kosten überschaubar und auch sehr kleine Serien mit geringen Stückzahlen sind möglich. Sebastien ist mit den Ergebnissen zufrieden, aber als Perfektionist und Originalitätsfanatiker möchte er dies langfristig ändern und zum manuellen Druck zurückkehren: „Seit zwei Jahren arbeite ich mit einem jungen Drucker zusammen, der so arbeitet wie früher. Das Problem dabei ist, dass sich dieser Prozess nur für teure High-End-Produkte rechnet. Ich glaube allerdings fest daran, dass eine Marke wie A Piece Of Chic nur überleben kann, wenn unsere Produkte wirklich authentisch sind. Deshalb möchte ich die Fertigung langfristig komplett umstellen auf den manuellen Druck.“

Der Rückgriff auf traditionelle Techniken hat also Methode, denn der Mann mit dem Menjou-Bärtchen sieht sich als eine Art Botschafter der Vergangenheit. Sebastiens Stimme bekommt einen bestimmenden Klang, als er sein Ethos beschreibt: „Die ganze Heritage-Bewegung verkörpert für mich auch eine Verpflichtung. Wir müssen die Dinge weitergeben, sie nicht nur tragen, weil sie cool sind. Ich fühle mich über die Kleidung und die Accessoires verbunden mit den Menschen von vor 70 oder 80 Jahren. Daraus wächst eine Aufgabe: Wenn wir diese Verbindung abreißen lassen, wird etwas für immer verschwinden.“

www.a-piece-of-chic.com

 

 

Text • Carsten Sobek | Fotos • A PIECE OF CHIC, laurentnivalle.fr

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